Rede von Hans Heydemann: „Kosten von S21 - Was wirklich im KPMG-Gutachten steht", 352. Montags-Demo am 2.1.2017

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Liebe Mitstreiter für den Erhalt des Kopfbahnhofes!

Bei der Volksabstimmung 2011 galt der Kostendeckel mit 4,5 Mrd. €. Den hatte der Aufsichtsrat der Bahn dann im März 2013 auf 6,5 Mrd. € gelupft, nachdem Bahnvorstand Kefer einräumte, dass es doch ein bisschen teurer werde.

Dass Stuttgart21 aber noch viel teurer wird, bestreitet die Bahn nachdrücklich und behauptet, „Stuttgart21 bleibe selbst dann innerhalb des Finanzierungsrahmens von 6,526 Milliarden €, wenn alle auch neu identifizierten Kostenrisiken einträten“.

Weitere Kostensteigerungen, wie von Vieregg & Rössler sowie vom Bundesrechnungshof mit bis zu 10 Mrd. € vorausgesagt, tut die Bahn als „haltlose Spekulationen“ ab. Dazu beruft sich die Bahn auf den Bericht der Wirtschaftsprüfer KPMG & Basler AG vom 27.9.2016 und verkündete, diese hätten die Gesamtkosten des Vorhabens in einer Bandbreite von 6,3 – 6,7 Mrd. € ermittelt und somit den Finanzierungsrahmen von 6,5 Mrd. € bestätigt. Also alles in bester Ordnung.

In Wahrheit aber taugt dieser Prüfbericht von KPMG überhaupt nicht als Nachweis für die 6,5 Mrd. € Die Bahn verschweigt die zahllosen Einschränkungen und Vorbehalte der Prüfer. Um das zu verbergen, wurde dieser Bericht als „streng vertraulich“ erklärt; niemand sollte den je zu Gesicht bekommen. Dennoch ist dieser in die Öffentlichkeit gelangt. Soviel zur Transparenz der Bahn.

Auftragsgemäß hatte KPMG gar keine Kosten-Ermittlungen vorzunehmen, sondern nur den sogen. T&K-Bericht der Bahn zu Terminen und Kosten mit den von der DB zusammengestellten Kostenrisiken auf Plausibilität zu überprüfen. Selbst das dem zugrundeliegende „6-Punkte-Programm“ [6PP] war von den Prüfern als gegeben hinzunehmen und wurde nicht mit überprüft.

Es waren lediglich die den Prüfern vorgelegten Unterlagen durchzusehen und von den jeweils zuständigen Mitarbeitern der DB zu erläutern. Dabei galt strengste Vertraulichkeit; Gespräche außerhalb der DB PSU sollten nicht geführt werden. Was also kann dabei anderes herauskommen als die Bestätigung der Angaben der Bahn?

Der KPMG-Bericht ist auch kein Gutachten. KPMG erklärt ausdrücklich, „kein Testat oder eine andere Form der Bescheinigung oder Zusicherung zu erteilen“. Als zweifelsfreier Nachweis für das Einhalten des Gesamt-Kostenrahmens von 6,5 Mrd. € kann der KPMG-Bericht also nicht herhalten!

Wie darin angeführt, fand auch „keine Überprüfung der Vollkosten-Kalkulation statt; Bauverträge wurden nur in Einzelfällen eingesehen. Die Analysetätigkeit war auf die von der DB PSU dargestellten Sachverhalte beschränkt“. Die Prüfer machen deshalb reihenweise Vorbehalte bei ihren Bewertungen. Daraus eine kleine Auswahl:

So heißt es auf S. 11 „..können wir nicht beurteilen, inwieweit der T&K-Bericht sämtliche relevanten Kosten für das Vorhaben Stuttgart21 beinhaltet.“

Und auf S.15: „somit war die Nachvollziehbarkeit des T&K-Berichtes nur eingeschränkt und mit erheblichem Aufwand möglich.“

Auf S.21: „So wurde in Kategorie IV „Zusätzliche Leistungen“ unterstellt, dass Risiken aus dem Filderdialog sowie Zusatzkosten aus Schlichtungsverfahren (u.a. zweites Gleis Flughafenanbindung) nicht im Budget von Stuttgart21, sondern in einem gesonderten Budget berücksichtigt werden.“ Aha, die Bahn mauschelt also und verschiebt wesentliche S21-Kosten auf andere Kostenstellen, um so den S21-Kostenrahmen möglichst niedrig zu halten! Das hatte schon der Bundesrechnungshof beanstandet; hier der also Beweis, wie recht er hat.

Weiter auf S. 21: „Die insgesamt im Projekt Stuttgart21 zu erwartenden Verzögerungskosten lassen sich erst nach weiterer Ausarbeitung der Gegensteuerungsmaßnahmen durch die PSU ermitteln.“

Und auf S. 27: „Insgesamt kann nicht ausgeschlossen werden, dass der heutige Finanzierungsrahmen aufgrund der beschriebenen Effekte nicht ausreicht; dies insbesondere … in Anbetracht des noch langen Zeitraumes bis zur Fertigstellung ..“

Auf S. 28 und S. 131: „Den von der PSU ausgewiesenen Gegensteuerungsbedarf in der Höhe von € 524 Mio. konnten wir inhaltlich nicht überprüfen, da uns hierzu keine Maßnahmen vorliegen.“

Und schließlich - auf S.32 - der wesentliche Vorbehalt: „Wir können nicht abschließend beurteilen, ob uns alle beurteilungsrelevanten Informationen und Nachweise zugänglich gemacht wurden. Insofern können wir nicht ausschließen, dass wir bei Kenntnis weiterer Informationen und Dokumente zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.“

Noch deutlicher werden die Prüfer am Schluß des Berichtes. Dort heißt es auf S. 131: „Daraus ergibt sich ein nicht näher abschätzbares Potenzial für bisher nicht erkannte Chancen und Risiken und in der Folge von Kostensteigerungen.“ Und weiter: „Insgesamt kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Finanzierungsrahmen aufgrund der beschriebenen Effekte nicht ausreichend ist.“

Also erwarten die Prüfer weitere Kostensteigerungen. Hier zeigt sich abermals die Verlogenheit der Bahn gegenüber Aufsichtsrat und Öffentlichkeit!

Nachdrücklich weist der KPMG-Prüfbericht auf erhöhte Schadensrisiken beim Tunnelbau im Anhydrit hin:

„..die Risiken der Tunnelerstellung im Anhydrit [sind] von Seiten DB PSU unterschätzt worden.“ [S.13]

„Daher gehen wir davon aus, dass es streckenwiese zu Schäden/Konvergenzen kommen kann, und dass Reprofilierungen notwendig werden. Dies hätte negative Auswirkungen auf die Kosten und eventuell auf die Termine.“ [S. 45]

„Auch die Aussicht auf günstigere Gebirgsverhältnisse ist nicht begründet respektive als unbegründet optimistisch einzustufen.“ [S.136]

„Zusammenfassend stellen wir fest, dass es für Tunnel im Anhydrit … keine bautechnische Lösung gibt, welche eine risiko- bzw. unterhaltsfreie Nutzungsdauer über Jahrzehnte zuverlässig sicherstellen kann.“ [S. 52]

Das Schadensrisiko ist sehr groß: Von allen im Anhydrit gebauten 13 Tunneln ist bislang nur ein einziger ohne nachhaltige Schäden geblieben. Die Risiken des Tunnelbaues im Anhydrit werden von der Bahn erheblich unterschätzt. Das betrifft nicht allein die Baukosten; hohe Folgekosten für spätere wiederkehrende Instandsetzungen wie sie jetzt beim Engelbergtunnel anstehen, sind überhaupt nicht erfasst. Wer soll die tragen?

Die Quellvorgänge des Anhydrit werden auch nach Betriebsaufnahme weitergehen und S21 zum kostenträchtigen Dauer-Sanierungsfall machen - siehe Wagenburg- und Engelbergtunntel und viele weitere. Hebungen bereits von 1 cm sind für Gleisanlagen nicht tragbar, schon garnicht für Hochgeschwindigkeitsverkehr! Deren Beseitigung nach Betriebsaufnahme wird außerordentlich teuer und erzwingt monatelange Betriebsunterbrechungen. Stuttgart ist dann nur noch mit einem Notfahrplan erreichbar und von der Magistrale Paris-Bratislava abgehängt, der Fernverkehr muss außen herum umgeleitet werden – wegen Stuttgart21! All´ das wurde schon in der Schlichtung vorgetragen. Doch MP Kretschmann und OB Kuhn tun jetzt so, als wäre das völlig neu.

Die Bahn jedoch streitet alles ab und verweist auf das neuartige Tunnelbauverfahren von Prof. Wittke, welches absolut trocken durchgeführt werde und damit ein Quellen des Anhydrit auszuschließen sei. Dem halten die Prüfer entgegen [S. 46]:

„Nach Auffassung von EBP muss dennoch damit gerechnet werden, dass es zu Wasserzutritten kommen kann. Die Erfahrung zeigt, dass „Tunnelbau ohne Wasser“ nicht möglich ist. Insofern halten wir es nicht für realistisch, dass das Quellen des Anhydrits mit absoluter Sicherheit vollständig vermieden werden kann. Die Begehung vom 17.August 2016 bestätigt diese Einschätzung. Sowohl in der Sohle .. wie auch an den Ulmen .. wurden .. Wasserzutritte festgestellt“

Schließlich bemängeln die Prüfer auch, daß die Bahn sich hierbei allein auf einen einzigen Gutachter stützt – auf Prof. Dr. W. Wittke.

Prof. Wittke ist keineswegs unfehlbar! Er war seinerzeit beim Bau der Stuttgarter S-Bahn-Tunnel verantwortlicher Gutachter, der die „vorhandenen horizontalen Gebirgsspannungen“ nicht erkannt hatte, die am 26. Feb. 1981 den Einsturz des Tunnelvortriebes im Bereich „Universität“ auf 35 m Länge auslösten. Sechs darüber befindliche, vom Einsturz bedrohte Wohnhäuser am „Bienenweg“ mussten eiligst für mehrere Tage evakuiert werden, bis der gefährdete Tunnelabschnitt in Tag- und Nacht-Einsätzen mit Beton verfüllt war. Die Folgen: Mehrkosten in Millionenhöhe und ein Jahr verspätete Fertigstellung! Es gab noch drei weitere Schadensfälle beim Bau der S-Bahntunnel. [nachzulesen im Buch „Der Tunnel“, ab S.148]

Und jetzt soll man diesem Prof. Wittke vertrauen, dass schon nichts passieren werde? Ich raff das nicht!

Nochmal zurück zu den Kosten: Von den Prüfern wurden folgende Mehrkosten gar nicht berücksichtigt:

Tunnelbauschäden durch aufquellenden Anhydrit

215 Mio €

zusätzliche Verzögerungskosten

109 Mio €

Mehrkosten der Nominalisierung

60 Mio €

Pachtzahlungen für die verspätete Übergabe der Gleisflächen

161 Mio €

Summe

545 Mio €

Der von KPMG überprüfte Kostenrahmen von „Stuttgart21“ wird also allein dadurch um 0,55 Mrd. € überschritten! Für weitere Anhydritschäden an den Tunneln muss ein zusätzlicher Risikopuffer von 1,2 Mrd. € vorgesehen werden; damit steigt der Finanzierungsbedarf des Vorhabens „Stuttgart21“ dann auf 8,3 Mrd. € an – ohne Berücksichtigung weiterer Mehrkosten!

Die von der DB AG behauptete Verbindlichkeit des Finanzierungsrahmens von 6.5 Mrd. € zum Vorhaben Stuttgart21 ist keineswegs gegeben. Dieser wird auch von KPMG so nicht abschließend bestätigt. Die Prüfer bescheinigen lediglich die Plausibilität der von der Bahn vorgelegten Dokumente. Die Aufsichtsräte der Bahn wie auch die Öffentlichkeit sind ein weiteres Mal von der DB AG vorsätzlich getäuscht worden!

Deshalb Ausstieg aus S21 jetzt - Oben bleiben!

Literatur:
Der Tunnel: Verbindungsbahn der S-Bahn Stuttgart ; Dokumentation ihrer Entstehung. [Hrsg.: Deutsche Bundesbahn, Bundesbahndirektion Stuttgart. Red.: Jürgen Wedler ; Karl-Heinz Böttcher. Autoren: Wolfgang Arnold], Verlag: Dt. Bundesbahn, Bundesbahndirektion Stuttgart, (1985)
ISBN 10: 3925565019 / ISBN 13: 9783925565014