Prof. Hesses Kommentar zur DB-Präsentation (Leistungsfähigkeit und D-Takt) vor dem S21-Ausschuss des Stuttgarter Gemeinderats (20.7.2019)

Am Dienstag, den 16.7. 2019 fand eine Sitzung des Rosenstein-/S21-Ausschusses des Stuttgarter Gemeinderats statt. Die DB nahm durch den DB-Konzernbeauftragten für Baden-Württemberg, Herrn Thorsten Krenz zu der Kritik des MVI, dass die nur 8 Gleise des S21-Tiefbahnhofs nicht zukunftssicher seien und man dringend über den Erhalt wenigstens einiger Kopfbahnhofgleise (in Tieflage) nachdenken sollte, Stellung.
Hier die DB-Stellungnahme wie sie vorab an den Gemeinderat u.a. verteilt wurde.

Dazu ein Kommentar von Prof. Dr. Wolfgang Hesse, Ludwig-Maximilian-Universität München. Die Veröffentlichung erfolgt mit der Genehmigung von Prof. Hesse.


Die Krenz-Rede ist ein neuer Gipfel der DB-Desinformationspolitik - sie entspricht der uns wohl bekannten DB-Stratege: „Angriff ist die beste Verteidigung".
„S21 ist die Voraussetzung für den D-Takt"
- das heißt und daraus folgt messerscharf: Das Nadelöhr ist die Voraussetzung für die Bewegungsfreiheit des Kamels!

Im einzelnen:

  • Selbst die Neubaustrecke ist keine Voraussetzung für den D-Takt - sie kann es nicht sein, denn Stuttgart ist bei den DB-Plänen kein Taktknoten (das gibt sie selbst zu), Ulm wird mit (angeblich) ca. 30 Min. Fahrzeit daran gehängt - kann also folgerichtig auch keiner sein - usw. für die weiteren Knoten.
    Wahrscheinlich wird im Endeffekt die Fahrzeit Stuttgart ↔ Ulm bei ca. 31 oder 32 Minuten liegen (bei Flughafen-Halt noch etwas länger) - was die Sache auch nicht besser macht. Bei maßvoller Nutzung der Neubaustrecke (entweder gemäß dem Konzept Umstieg 21 oder mit Flughafen-Halt und verlängerter Haltezeit im Tiefbf.) könnte man die Fahrzeit Mannheim - Ulm (dann knapp 90 Minuten) sehr gut zu einem 00-Knoten in Ulm nutzen - wie er zumindest für die IC's - schon jahrelang besteht.  Besser noch: Eine neue Direktverbindung Frankfurt - Stuttgart (mit Bypass Mannheim) und damit den Nullknoten Stuttgart einrichten, Mannheim bleibt verbunden wie bisher - alles schon beschrieben in: http://www.bahn-fuer-alle.de/media/s21/Stg21ERI.pdf
  • Grundtakt und Verdichtung: Das ist ein wichtiges Argument für die 00- und 30-Knoten. 15/45 funktioniert nur bei durchgängigen Halbstunden-Takten (d.h. auch abends und am Wochenende) auf allen beteiligten Linien. Das ist meistens nicht gegeben und daher keine verlässliche Lösung. In allen nicht-verdichteten Bereichen gibt es dann sub-optimale Umstiegszeiten von 45 Minuten oder mehr.
  • Die 70 (oder mehr) Ankünfte und Abfahrten sehe ich als plumpe Vernebelungstaktik. Jeder Zug, der abfahren soll, muss auch ankommen (und wenn es aus der Remise ist). D.h. es ist ausreichend (und weit weniger verwirrend) nur die Abfahrten zu zählen, wie  es normal gehandhabt wird. Dann wird aus der 70 eine 35 - und die ist womöglich immer noch (etwas zu) ambitioniert, 32 ist wohl eher realistisch.
  • Alle 5 Minuten ein Zug im S-Bahn-ähnlichen Hochleistungsbetrieb": Hier wird das Verwirrspiel auf die Spitze getrieben. Will die DB alle ihre Züge zu S-Bahnen umrüsten - mit entsprechend breiten Ein- und Ausstiegsbereichen (und dann am besten gleich auch ohne Toiletten, das erspart viel Reinigungspersonal)?? Der TGV kann ja dann in Kornwestheim halten.
  • Zürich und ITF mit Durchbindungen: Auf den perfekten ITF im Zürcher Kopfbahnhof habe ich schon früher hingewiesen. Hat man viele durchgebundene Züge im Durchgangsbahnhof, so verlängern sich automatisch die Standzeiten - das allerdings um so geringfügiger, je besser die Infrastruktur ist. Hat man (im Idealfall) lauter unabhängige Gleise, Zu- und Abläufe, dann können im Prinzip alle Züge gleichzeitig ein- und ausfahren und nur noch die Fußweg-Länge entscheidet. In der Realität wird es nicht immer so rosig aussehen und im Stuttgarter Tiefbahnhof ist sogar fast genau das Gegenteil der Fall. Wegen extremer Gleis-Knappheit müssen die Züge im „im S-Bahn-ähnlichen Hochleistungsbetrieb" abgefertigt werden und können auf ITF, Knotenzeiten und Umsteigerelationen keine Rücksicht nehmen. Genau das spiegeln die „Zielfahrpläne 2030" des BMVI wider („Kraut und Rüben"). Siehe dazu den Anhang.
  • Die langen Übergangszeiten sind natürlich den Rahmenbedingungen geschuldet - aber diese Bedingungen sind so miserabel und unumkehrbar (jedenfalls solange man nicht vernünftig wird und sich auf Umstieg 21 oder ähnliches besinnt), dass keine „Optimierungen" helfen - aller nordkoreanischen Gebetsmühlen zum Trotz!
  • Zu Ulm: siehe oben. Der „Halbstundensprung" ist eine Chimäre. Wenn man einen Un-Knoten an den anderen hängt, wird der Fahrplan nicht besser, sondern eher noch schlimmer. Mit ca. 45 Minuten Fahrzeit Stuttgart ↔ Ulm kann man einen guten 00-Knoten für die Züge aus Mannheim herstellen und für die (Direkt-) Züge aus Frankfurt kann Stuttgart einen eigenen 00-Knoten bilden. So kann man die (traditionelle) Doppelbedienung durch ICE und IC sinnvoll nutzen. Siehe dazu den oben zitierten Artikel.

Übrigens: Diesen Fahrplan kann man auch relativ leicht auf die Kombi-Lösung ummünzen. Daran arbeite ich noch - sobald wieder etwas Zeit ist nach den Münchner Planungs-Wirren zum S-Bahn-Tieftunnel. Da tut sich ein neues „Stuttgart 21" mitten in München auf!

Zur Anschauung: Linienplan des Knotens Stuttgart und Takt-Rosetten von Prof. Hesse als PDF